Meilensteine

Bin genervt von meinem Kind, von meinem melodramatischem Geseier, von meiner Erkältung, vom Herbst, von „meinen“ Männern und habe natürlich nichts Besseres zu tun, als sofort wieder in die gleiche Kerbe zu hauen. Weil es so viel ist, weiß ich auch nicht wo ich am besten anfange. Vielleicht einfach chronologisch. Habe mich im Frühling bei einem Flirtportal angemeldet. Das ist nicht weiter spektakulär und bis auf ein paar kleine pikante Begegnungen, die zum jetzigen Zeitpunkt jedoch schon keinerlei Bedeutung mehr haben. Zum Beispiel der Typ, dem meine „Ex“-Freundin jahrelang hinterherschmachtete, um sich immer wieder erneut von ihm verarschen zu lassen. Ich wollte es mal wieder wissen und traf mich mehrmals mit ihm. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich von dieser Sportorientierten Kampfnummer Anfang Mai schon berichtet. Da ich damals quasi schon gebrieft war, was mich erwartet und mein Weg zu meinem ICH so weit vorangeschritten, dass ich schon gut belastbar war, brachte mich diese Ego-Nummer mit einem kleinen schmächtigen Männlein, der sich nur durch Verkäufer-Eloquenz, einen guten Humor und einem recht großen Schwanz auszeichnete, nicht wirklich aus der Fassung. Es brachte durch den Vergleich, eher die Erkenntnis, dass ich mit meinem Wolfsjungen mal etwas hatte, was von tiefem Vertrauen, ehrlichen Gefühlen, getoppt von absoluter Kusskompatibilität geprägt war. Und es verschaffte mir irgendwie Genugtuung, den von meiner ehemaligen Freundin heiß geliebten Herzensbrecher, um mich buhlen zu lassen. Ich weiß bis heute noch nicht, was sie an dem findet oder fand. Doch manchmal möchte ich sie gerne anrufen und sagen, ich habe deinen Alarmanlagen-Verkäufer vernascht und ich finde, ihr passt hervorragend zusammen, weil ihr beide meint, ihr hättet die Kommunikation erfunden, trotzdem nicht auf den Punkt kommen könnt und beide krampfhaft an alten Strukturen festhaltet, niemals die Tür zu euren Leichen im Keller öffnet und andere Sichtweisen nicht zulassen könnt.

Doch weiter in der Chronologie. Mein Wolfsjunge wurde nach einer dreimonatigen Abordnungszeit endgültig in den Norden in den Schoß seiner Familie versetzt und es gibt nun kein Zurück mehr. Ich werde es überleben, auch wenn er mir schreibt, dass ich ihm gehöre. Manchmal träume ich von ihm und bin dann den ganzen Tag verliebt, doch im Grunde meines Herzens weiß ich, dass ich nicht mit ihm leben und man das, was wir hatten nicht in den Alltag herüberretten könnte. Es schmerzt nicht mehr und treibt mich nicht mehr an den Abgrund.

Das letzte Ereignis, was mir „an die Nieren ging“, war ein Zusammentreffen mit Graf Zahl (der von meiner Ex-Freundin verschmähte, der den ich wirklich vom ersten Moment an großartig fand, der dem ich erklären wollte, dass auch ich neben meiner wunderschönen, anbetungswürdigen, supertollen Freundin (also heute Ex-Freundin) eine Existenzberechtigung habe. Graf Zahl ist kaputt. Er war es schon damals, als er in mir den Impuls auslöste, meine Zerrissenheit nun endlich in den Griff zu bekommen. Wahrscheinlich war ich zu diesem Zeitpunkt genauso kaputt wie er. Es ist irgendwie faszinierend, dass sich so kranke Menschlein wie wir, blind finden und erkennen, weil sie sich eigentlich spiegeln. Ich hatte es mir gewünscht, ihn wiederzutreffen – vielleicht um auch mit ihm meinen Frieden zu schließen. Es tut mir leid, dass er noch immer durch die Hölle geht und ich hätte ihn gerne gehalten, ihm geholfen, aber ich wäre in alten Verhaltensmustern gelandet, hätte ihn bestalkt und wäre verletzt gewesen, weil er nicht das empfindet, was ich mir wünsche. Er wusste, dass es keine belanglose, emotionslose Vögelgeschichte für mich ist. Doch diesmal hatte ich genug Vertrauen in mich. Wenn er gewollt hätte, hätte er einen Moment bleiben können und verschnaufen, Luft holen bevor er weiter rennen muss, immer auf der Suche nach einem Halt. Ich hoffe, er gibt nicht auf und dass es ihm gelingt mit sich ins Reine zu kommen.

Die Kinder werden in wenigen Jahren erwachsen sein und ihre eigenen Wege gehen. Doch bis dahin sind wir die Wegbereiter und müssen den Druck aushalten, dass wir die Looser sind, die unseren Kindern kein „normales“ Heranwachsen in einer „normalen“ Familienkonstellation ermöglichen können. Und dabei sollte doch in der Theorie alles so einfach sein – ausgeglichene Eltern bedingen ausgeglichene Kinder. Bei mir mischt sich auch gerne ab und zu noch die Wut in den Druck, dass ich das alles alleine abhandeln muss, die Verantwortung alleine trage und kein Platz für mich bleibt, weil schließlich an erster Stelle das Kind kommt. Es ist besser geworden und ich habe mir Freiräume schaffen können. Ich fühle mich nicht mehr so verloren und kann mich irgendwie besser leiden, auch wenn weiterhin das Chaos herrscht und ich Meilen von der Perfektion entfernt bin.

Es gibt noch immer viele Männer in meinem Umfeld – niemand jedoch mit dem ich mein Leben teilen könnte, wollte und sollte. Ich bin nicht mehr rastlos und manchmal gehe ich lieber etwas essen, als mir die Nacht in einem Zappelladen um die Ohren zu schlagen und Erfahrungen zu machen, die ich später bereue. Ich weiß, dass meine Selbstfindung nicht abgeschlossen und fragil ist, aber ich versuche Dinge zu tun, die mir gut tun. Ich versuche es zu spüren und Nein zu sagen, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Ich will nicht mehr um jeden Preis und schon gar nicht jedem gefallen. Ich war noch nie so sehr „ich selbst“ wie heute und ich will es behalten und bedacht damit umgehen.
steppenhund - 23. Nov, 10:22

Klingt doch gut!

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