Ein Schritt vor und zwei zurück

Habe gestern in all den Wirren glatt meinen 6. Geburtstag vergessen. Stattdessen wurde mir meine 2. Therapiestunde bei einer Trauma-Spezialistin geschenkt. Sie hat mir gesagt, es wird hart zurückzublicken und ich nickte freundlich und automatisch und dachte, ich habe doch schon oft in der Erinnerung gekramt, das wird mich doch nicht umhauen. Ausserdem möchte ich doch schnell arbeiten („meine Hausaufgaben machen“) und bis gestern wieder auf den Beinen sein und perfekt funktionieren. Ich habe nicht mit körperlichen Schmerzen gerechnet, die mich abends im Bett überfielen. Mir war speiübel und mein Kopf drohte zu zerspringen, so dass mein Bettpartner gestern Nacht eine pinkfarbene Schüssel war. Ja, Plastik scheint neuerdings eine Vorliebe von mir zu sein. Dabei hatte ich den Tag recht gelassen begonnen. Tatsächlich habe ich mir ein Bad eingelassen und es auch noch entspannt genossen. Ich weiß nicht, wann ich das zum letzten Mal gemacht habe. Duschen ist doch so wunderbar zeitsparend. Bei der Kriegsbemalung (gestern besonders sorgfältig) achtete ich prophylaktisch darauf, die unteren Wimpern nicht zu tuschen, falls ich heulen muss (wenn dann selbstverständlich auch leise und kontrolliert ohne TamTam und Geschluchze). Ich hasse Selbstmitleid, dass hatte ich schon als Jugendliche fein unter Kontrolle. Als erwachsene Frau habe ich einmal mit Schluchzen geheult. Es ist entsetzlich, wenn einem die Stimme den Dienst versagt und man regelrecht geschüttelt wird von ekelhaften Emotionen. Alles entgleitet. Das der Körper damit sagen will, ich möchte Schutz und Trost, ist eine neue Erkenntnis. Damals wollte ich Verständnis, Einsicht und eine Entschuldigung. Ich habe sie nie bekommen. Ich wurde nur noch weiter aus dem Leben meines geliebten (???) Psychos herauskatapultiert und das prägte sich ein. Ich bin leichter als ein Hund zu konditionieren. Noch heute wird er grün im Gesicht, wenn ich irgendwo auf der Bildfläche erscheine. Das ist traurig, aber es ist nicht mehr mein Problem. Ich hatte ihn viele Jahre therapiert und mir gewünscht, dass ich seine Lösung wäre. Spät, ja fast zu spät kam die Erkenntnis, dass ich auf mich achten muss. Ich war ein Seelenmülleimer wie er im Buche steht und ich stellte mich brav immer wieder hinten an. Wenn ich gehen wollte, zog er das Seil wieder fester und bat mich, weiterhin sein „bester Freund“ zu sein. Wenn ich irgendetwas bin, dann hilfsbereit. Anstatt mir selbst zu helfen, redete ich mir pausenlos ein, das wäre immerhin noch besser als NICHTS. Ich überließ ihm die Verantwortung für mich und gab mich vollständig auf. Ich wusste ja damals erst recht nicht, wer ich bin und schon gar nicht, was ich will. Ich lebte von unserem ersten Kuss in seinem Auto, (der der Beste meines Lebens war) und von dem magischen Moment, als seine Finger meine Hand elektrisierten. Ich war überzeugt davon, dass das die Liebe sein muss. Später (sehr viele Jahre später) stellte ich ihn in der Öffentlichkeit bloß, ich wollte nicht mehr geheim sein. Ich erntete Kopfschütteln, Unverständnis, Ignoranz und machte mich endgültig lächerlich. Selbstverständlich verließ er mich. Ich blieb in meinen kindlichen Bedürfnissen viele Jahre gefangen und wartete im Dornröschenschlaf auf meinen Erlöser.

Schon in der 1. Therapiestunde wurde meine Welt noch einmal auf den Kopf gestellt und mein verklärtes Weltbild verrückt. Auf einer Hoffnungsscala von 1 – 10 gab ich der Hoffnung in mir eine 6. Ich bin nicht verroht und auch nicht abgestumpft – ich bin noch immer berührbar. Ich möchte die Verantwortung für mein Leben tragen, damit ich sie für meinen Sohn tragen kann – ich bin Verantwortungsbewusst. Die Bausteine Intelligenz, Disziplin, Fürsorge, Willensstärke Mut und vieles mehr, wurden von der Therapeutin und mir zusammengetragen. All diese Eigenschaften besitze ich tatsächlich, doch wenn ich einem Mann die Tür öffne, fallen diese Bausteine um wie Dominosteine und ich bin wieder klein, wehrlos und ohnmächtig. Mein Vater schlägt mich zum ersten Mal (und zum letzten Mal) im Suff auf die Nase und überall hin spritzt Blut, meine Mutter schreit ihn an und ich weiß, dass sie nun die Prügel bekommt. Ich kann ihr nicht helfen, denn ich weiß nicht wie. Mein großer Bruder ist nicht Daheim. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf - es ist ein ganz normaler Tag.

Anspieltip für heute:
https://youtu.be/AJtDXIazrMo

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